In diesen Tagen ist wieder viel von Stimmung die Rede: im Hambacher Forst herrsche "angespannte Stimmung", Teilnehmer der Chemnitzer Proteste berichten, "die Stimmung sei aggressiv gewesen", Kretschmer warnt vor Rechten, die "die Stimmung aufheizen" und findet "widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen", Maaßen wirft den Veröffentlichern des Videos der Chemnitzer Hetzjagd "Anheizen der Stimmung in der Öffentlichkeit" vor, Weber erklärt die "Stimmung in ihrer abendlichen Fraktionssitzung" deutlich für ein Verfahren gegen Ungarn, beim Sachsengespräch "herrscht angespannte Stimmung". Und das sind nur Beispiele aus der Tagesschau der letzten Woche. Stimmung ist das neue Füllwort, beliebig von Adjektiven begleitet: es gibt aggressive (häufiger), friedliche (seltener), rassistische (unbequemer), angespannte (immer), heitere (profaner), usw. Stimmungen, Stimmung kann man machen oder auch nur nutzen.
Zeit für ein wenig Etymologie: Die Geschichte der "Stimmung" ist ein erstaunlicher Fall einer rückübertragenen Metapher. "Stimmen" bezeichnete spätestens seit dem 16. Jahrhundert (z.B. Agricola 1525) den Vorgang, Instrumente auf ihre, anthropomorph gesprochen, vorgesehene "Stimme" zu bringen. "Stimmung" entstand als dessen Substantivierung dann in der Musik, um dann in der Ästhetik auch auf die Bildende Kunst und später die Literatur ausgeweitet zu werden, die empfundene Harmonie der Situation bezeichnend. Noch Goethe konnte der Stimmung eines Stalls oder einer antiken Ruine musikalisch vernehmen, ihre Vibration spüren, ihre leisen Töne hören. Noch vor der Romantik konnte dies auf die innere Verfasstheit des Menschen zurückübertragen werden (so z.B. Herder, Kant): Aus der Metapher der menschlichen Stimme für Musikinstrumente war die Metapher des Instruments für das menschliche Gemüt geworden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts findet dies auch Übertragung auf ganze Gruppen von Menschen bzw. die emotionale oder politische Situation an einem Ort. So losgelöst von der (bis heute parallel verwendeten) musikalischen Bedeutung, die nur eine positive, harmonische Gestimmtheit zuließ, kann sich die "Stimmung" in unserem heutigen Sprachgebrauch weit von Harmonie entfernen ...
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