Sie fragte nach der bebrillten Gärtnerin, unten sei sie, die Treppen hinunter, in wunderschön gesungenem Alemannisch. Und in der Tat, die Gärtnerin war unten, sich stehend gefährlich herauslehnend auf einer Leiter, um einen Apfelbaum vor der Blüte zu schneiden. Sie wusste weder, weshalb so etwas zu tun war, noch fragte sie. Stattdessen, ob die Gärtnerin noch zwei linke Hände gebrauchen könne. Sichtlich erfreut und lebensglücklich schickte diese sie wieder hoch, die Treppen hoch, zur Werkstatt. Dort seien ihre Sandalen gegen Gummistiefel, ihre zarten Hände gegen Handschuhe zu tauschen. Beim Tee tauschten sie sich aus, die Gärtnerin war eigentlich nur eine halbe Gärtnerin, die andere (ob bessere hatte sie nicht zu fragen gewagt) als Beraterin für Kleinbäuerliche Familienbetriebe. Die Situation sei schlecht, wissen Sie, großgeschrieben, offenlassend, wer hier gesprochen, wer hier gemeint war. Die Situation nicht der Gärtnerin sondern der Familien, die zu den Betrieben gehörten, sie erzählte von der doppelten Enteignung ihrer Großeltern, zuerst in der geflohenen Heimat, dann an dem Ort, der in innerer Flucht nie Heimat sein konnte. Sie sprachen über die Arbeit der Hände, und darüber, wie verbunden sie mit den physischen Orten werden, die sie solange mit Leben füllten, wie sie selbstverständlich dazugehörten, zum Leben, die Orte, bis man sie uns nahm. Sie habe auch ausziehen müssen, als das Hotel alles kaufte, und das sei nicht einfach gewesen, sie könne das glauben, gärtnern in halber Stelle nur ein Trost.
Sie hatte das Schreiben vor sich her geschoben wie eine Bugwelle, die ihr Kommen anzukündigen hatte, von der Paradoxie einmal abgesehen, dass sie in diesen Tagen mehr handelte, sah, fühlte, erlebte, wahrnahm als in jenen Tagen, in denen sie mehr schrieb, beinahe als verlangte die Abwesenheit von Erfahrung ein reflektives Schreiben, um jenes ersehnte bewusste Erleben aus Gedanken künstlich hervorzurufen, als könnte sie nicht unterscheiden zwischen dem grammatischen Handeln von Ideen als Subjekten, und dem tatsächlichen Handeln ihrer selbst in einem so oder anders umrissenen Raum. Dennoch, dass es sie weniger drängte zu schreiben, wenn ihre Tage voll Erlebens waren, schien mehr an sich zu haben als bloße Zeit, die sie in diesen Tagen anders verbrachte als in jenen Tagen. Sie wollte das nicht, sie wollte kein Tagebuch, und auch keine Biografie, in der Dinge geschahen, in der chronologische Abläufe klar wurden, sie wollte keine Verbindungen zwischen ihren Ab- und Sätzen, wollte einfach schreiben, weil. Es war einfach zu sagen, dass dieser Roman nichts wollte. Einfach wie falsch, nicht falsch, nur gelogen. Es war eine Lüge, nicht, dass ihr das etwas ausmachte. Es war eben nur nicht, wie die Dinge sich tatsächlich in ihrem Kopf fügten, und sie sah keinen Grund, diese Ideen anderen vorzuziehen aus bloßer Eitelkeit heraus. Denn natürlich war die Schreibende schrecklich eitel, wie viele Schreibende. Eitelkeit gehörte zur Tätigkeitsbeschreibung, wer sonst besäße die Arroganz, ihr Schreiben für so wichtig zu erachten, es niederzuschreiben, und auch dann eine Lesendenschaft anzusprechen, wenn sie diese verleugnete. Natürlich, auch wenn sie das nicht zugab, hoffte sie tief in ihrem Innern, dass ein bekannter Verlag den Roman veröffentliche, dass er ein Erfolg würde, dass sie in aller Munde sei, unter der Bedingung, dass sie noch nicht gestorben sei, wenn sie heute noch lebte. Das war ihre Eitelkeit, und sie war nicht stolz darauf. Es schien ihr nur noch arroganter zu tun, als gäbe es dies nicht, als seien Schreibende Geheiligte. Sie hatte Demut einzuüben, und sie war überzeugt, dass dies durch Religiösität zu erreichen sei. Das Religiöse, so argumentierte sie immer, wenn keine Atheisierten im Raum waren, spreche Bereiche an, zwischen Wesen, die sonst nur schwer möglich seien, zu erlernen, die ihrer Meinung nach, wie sie betonte, das Religiöse als Lebensentscheidung gar ausmachten. Sie verabscheute nicht den Konjunktiv, aber dass sie ihn nicht beherrschte. Sie verabscheute es, wenn Formen des Indikativs Präteritum einfach kongruent waren, und sie das kolloquiale Hilfswörtchen ‚würde‘ nicht verwenden wollte, weil sie eitel genug war, etwas darum zu geben. Genitive und Konjunktive schienen ihr die grammatischen Konstruktionen, bei der die größte Vorsicht geboten war, denn ein Nicht-Beherrschen würde sie unmittelbar als Nicht-Angehörige der Schicht entlarven, die sie durch ihr Schreiben versuchte zu werden. Gut, wenn sie schon einmal dabei war: Sie war nicht nur eitel, sondern auch besessen von Macht, Aufstieg, kulturellem Kapital. Wie jede, die ehrlich genug war zu sich selbst, das zu bekennen (eine sehr einfache These: wenn du mir nicht zustimmst, dann ist das, weil du es dir selbst nicht eingestehst, also hab ich doch recht). Wie dem auch sei, in Bezug auf das Eingeklammerte. Im Übrigen hatte sie bereits mehr als zwei Seiten in einem Absatz verbracht, falls es der Lesenden nicht aufgefallen war, die sie sich nun nicht mehr traute zu leugnen. Oder besser: wo sie sich nicht mehr traute, ihre Hoffnung auf der Lesenden Existenz zu leugnen. Letzte Nacht hatte sie von Navid Kermani geträumt. Er hatte ein Bungalow in einer Kleingartenanlage, die die Schreibende aus ungeklärten Gründen betreten hatte. Genauso unerklärt blieb, wie sie an einem Tisch mit Kermani endete, außerhalb des Gesprächs stehend, mit dem konstanten Gefühl, die Gelegenheit ihres Lebens zu verpassen. Aber sie wusste einfach nichts zu sagen, das Kermani interessiert, wusste nichts zu fragen, das ihn beeindruckt hätte. Sie kannte dieses Gefühl, um Menschen zu sein, die sie bewunderte, und diese dann einfach nur zu langweilen, aus Schüchternheit und Ungeschick.
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