Sie war ganz Ohr gewesen, aber eben auch ganz Kopfschütteln. Goethe missfiel ihr, nicht nur weil es cool war. Vielleicht auch, weil es cool war. Vielleicht nur deshalb. Wer wusste das schon? Sie hatte Gründe. Woher jedoch kam ihr Bedürfnis, Goethes Wort auf dem Bildschirm zu verdrehn, bis sich der Dichter ohne Kopf im Grabe drehte? War es Sadismus, war es Scham? Tief sitzender Ehrgeiz, Größenwahn? Oder schlichtweg Gewohnheit, Bequeme, Vernunft? Der Dichter ohne Kopf, dessen war sie sicher, war für sie nicht der deutscheste aller. Er hatte deutsche Literatur geschrieben, aber weder war sein Werk besonders repräsentativ für die Dynamiken, Herausforderungen und Konflikte deutscher Literatur, noch sprach er als Mensch zu Menschsein. Was jedoch war deutsche Literatur? Und was machte sie steigerbar. Sie seufzte wieder, und wusste es nicht. Wieder. Es war ein Gefühl, wehrte sie ab, ein nationalistisches. Diesen weichen Patriotismus hatte sie sich geschworen zu bekämpfen, als sie noch an Eide glaubte. Als sie überhaupt noch irgendetwas glaubte. Jetzt lagen die Dinge gleich, doch sah sie sie anders. Unverkrampft erlauben konnte und wollte sie sich Nationalgefühle trotz allem nicht. Eine Nation, das darf und kann nicht sein. Aber eine Nation tötete, und eine Nation wird wieder töten, tötet sie jeden Tag. Nicht jenes Töten, sondern dieses: Brandschatzen, morden, gierig und voller Hass, im Jagdfieber gegen alles, was sich in Art und Wesen der Nation widersetzt. Die Nation gilt der heiligste Zweck, für den zu fallen bereit, zu morden Freiheit. Jenes morden, das der Dekalog verbietet, das Luther moralistischer als ‚töten‘ übersetzt, aber im Hebräischen meint es wohl: Brandschatzen, morden, gierig und voller Hass. Wenngleich der Eine, der Name, der Herr Kriege anordnete und Morde geschehen ließ, so verstand Er doch dort kein Spielzimmer. Klar das Gebot, klar die christlichen Grundwerte, die Feste Europa: Brandschatzen, morden, gierig und voller Hass.
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