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humanitär scheiße ist immer noch scheiße

„Es gilt vielmehr, die Logik des humanitären Diskurses selbst zu hinterfragen und seine Grenzen zu überwinden.“ Sie fragte sich immer wieder, wie wohl die Migrierten der Zukunft diese Geschichte schreiben würden, die jetzt Gegenwart war. Sicher wird es eine Welt sein, in der es immer noch Grenzen und Humanitätsgeplänkel gab, sicher werden auch sie Erben der Moderne, also von Aufklärung und Nationalismus sein. Sie hoffte, dass diese Geschichte nicht unterging, in jenem humanitären Diskurs, dass nicht über Mutti Merkel, sondern über den Druck geschrieben werden würde, den der „Marsch der Hoffnung“ im Herbst 2015 hatte aufbauen können, die Widerstände von Flüchtenden, ihre Fingerabdrücke kampflos abzugeben, wie sie weiterfuhren und gefahren wurden, Richtung Norden, wie sie am Budapester Bahnhof demonstrierten und nach Deutschland und Österreich einreisten. Als klares Resultat ihrer Kämpfe, nicht des Widerstands einer Weißen Antira, nicht der Willkommenskultur einer deutsch-österreichischen Gesellschaft, nicht der gruseligen Erinnerung, die der letzte Listenpunkt hervorrief, nicht der aufnahmeorientierten Politik zweier Regierungen. Allein ihrer Kämpfe. Es gab keinen Grund für „Danke Mama Merkel Deutschland“, Merkel und die Bundesregierung hatten nur reagiert, wenngleich immer noch viel zu wenig und menschenverachtend. Das Abkommen in der Türkei im März sollte wohl genug getan haben, die Illusion eines Willkommen-heißenden Deutschland zu zerschlagen, die Illusion der Menschlichkeit einer Regierung, vieler Regierungen. Die flüchtend Bekannte erzählte immer noch viel über Chios und Vial, über die Unmenschlichkeit und das ungestrafte Verbrechen, auch über die Auswirkungen von Unterschriften auf Papier, weit weg in Brüssel. Wieviel es verschlimmerte. Die Aufklärung hatte Menschlichkeit geschrieen, und deshalb Guillotinen und Gefängnisse errichtet, geköpft und verurteilt, die Bundesregierung schrie Menschlichkeit, und schob daher ab. Wies Menschen einen rechtlich geringeren Status zu, weil sie Pässe besaßen, von Ländern, die nicht in den europäischen Globus passten. Die Dichotomie zwischen Geflüchteten und Bürger_innen ist nicht nur künstlich, sondern auch zutiefst arbiträr und unter ethisch-argumentativen Gesichtspunkten schwer aufrechtzuerhalten. Daran wird auch Humanität und Mitleid nichts ändern, sondern bestenfalls Grenzen verfestigen. Oulios schreibt, dass „der aktuelle Anstieg der Asylbewerberzahlen in diesem Jahr [2015] Kosten in Höhe von ca. zehn Milliarden Euro verursachen [wird]. Den Steuerzahler kostet das durchschnittlich im Monat so viel wie ein Kasten Bier.“ Das hinterfragt nicht nur menschliche Wertigkeit und Verwertungslogik, sondern illegitimisiert Wohltätigkeitsdiskurse: ein Kasten Bier, wirklich? Opfern wir uns wirklich auf, wie wir gern glauben? Das ‚wir‘ war hier zynisch verwendet, denn natürlich erhielt sie monatlich 597,00 Euro Steuergeld. Mehr als zwei Bierkästen. Die Stellung der Bundesregierung als große Rettende blieb auch sonst zweifelhaft, sie war es, die zum Aushebeln von Mare Nostrum schob, zum Abkommen mit der Türkei drängte, auf eine Bewahrung europäischer Einheit pochte.


April 2016

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