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migration ist das recht, das man sich nimmt

Trotz der verzweifelten Illegitimierungsversuche eurpäischer Regierungen wurde Migration genau dann zum Recht, wenn es sich jemand nahm. Wenn jemand von irgendwoher nach irgendwohin aufbrach, um dort länger oder für immer zu leben. Der individuelle Charakter machte Migration flexibel und ließ immer wieder die Hoffnung auf ‚Ströme‘ und sonstige Naturgewalten zerplatzen. Die sich selbst materialisierenden Metaphern zerstörten ebenso kontinuierlich sich selbst wie Europa. Migration war zu instrumentalisieren, rechtspopulistisch oder wirtschaftlich, war humanitär zu bewerten und ethisch auszugraben, war Rechtmäßigkeit zu entkörpern und in Kämpfe einzuführen, war alles mögliche, aber nicht zu kontrollieren. Abschiebung und Mauer waren zugleich auch Symbole staatlicher Ohnmacht. Ein Wirtschaftssystem, das auf Illegalisierte angewiesen war, hatte auch kein Interesse an einer tatsächlichen totalexklusiven Abschottung. Wichtig war nur der öffentliche Eindruck, dass diese gelang. Abschiebungen und Mauern standen nicht, um Migration zu verhindern. Sie waren Orte, an denen sich ein Diskurs produzierte, der Menschen systematisch von Rechten ausschloss, ein Diskurs von Bürgerrechten und Nation. Die Unabhängigkeit der Migration forderte nicht nur Rechte, sie schuf sie erst. Ihre Autonomie suchte der Staat zu zerschlagen, indem er Symbole und Institutionen zugleich der Humanität und der Entrechtung errichtet. Die Durchlässigkeit europäischer Grenzen, oder Grenzen allgemein, war daher nicht nur durch die Flexibilität und Autonomie der Migration verursacht, sondern auch aus ökonomischer Motivation und ethisch-humanitär-entrechtenden Überlegungen offengehalten. „Um Europa keine Mauer. Bleiberecht für alle, und auf Dauer“ traf es darum nicht ganz.


Die Forderung nach einer Abschiebung strafverurteilter Personen ohne Bürger_innenrechte prangte nicht nur auf Plakaten der NPD zwischen ihren heimatlichen Wäldern und Seen, sondern hielt durchaus in Breite stand. „Kriminelle Ausländer raus“ zeichnete dabei eine Sozialgeografie, trennte zwischen Inländer_innen und Migrierten. Straffälligkeit war dabei der Mythos, an dem sich der Prozess niederschlug: es galt ein doppeltes Recht für jeweils Angehörige beider Gruppen. Denn selbst verurteilte ‚Inländer_innen‘ entzog das Gericht die Aufenthaltserlaubnis in der Gesellschaft meist nicht dauerhaft, sondern beschränkte die Strafe auf eine auf Resozialisierung ausgerichtete Haft. Migrierten drohte so eine doppelte Strafe, die eigentlich verfassungswidrig war, aber Bestand hatte, weil Abschiebungen nicht Strafe, sondern Verwaltungsakt beinhalteten. Dass Abschiebegefängnisse Strafanstalten in den Haftbedingungen nicht nachkamen, tat dabei nur scheinbar nichts zur Sache. Fest stand, dass Menschen arbiträr anders behandelt wurden, andere Rechtsimperative galten, weil sie nicht Bürger_innen dieses Staates waren. Ob sie damit schon in einem Apartheidsystem lebte, war politisch zumindest als These in ihrem Nutzen zu bewerten. Sinnvoll war jedoch unbedingt eine Abkehr von Humanität hin zu Rechten, bis hin zur Abkehr von Abschiebung. Denn die Abschiebung „krimineller Ausländer“, also strafverurteilter Personen ohne Bürger_innenstatus, wirkte doppelt konstruierend: zum einen bestätigte sie den identitätsbildenden Mythos des „kriminellen Ausländers“, zum anderen legitimisierten sie Abschiebung als Verwaltungsakt innerhalb eines Rechtssystems nicht anders als Humanitätsdiskurse und Forderungen nach einer humaneren Abschiebepraxis, die ja suggerierte, dass Abschiebungen grundsätzlich in Ordnung waren, solange sie nur das „nackte Leben“ des Abzuschiebenden nicht verletzten. Sowohl der Ausländerkriminalitäts- als auch der Humanitätsdiskurs reduzierten die Abzuschiebende Person als Teil eines Kollektivs und individuell um ihre politische Körperschaft zu rein biologischer Funktionalität. Abschiebungen erlaubten, eben jenes erstgenannte Recht auf Freizügigkeit und Bewegungsfreiheit zu negieren, indem sie die Abzuschiebende als Mensch mit biologischen Bedürfnissen wahrnahmen. Sie sollen so durch Entrechtung eine Homogenisierung der Bevölkerung durchsetzen, reinhalten, sollen auf bürgerliches Schutzbedürfnis reagieren. Dabei wurde nachträglich ein Recht entzogen, dass sich der Abzuschiebende längst genommen hatte, und auch wieder nehmen konnte. Zumindest überquerte mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Abschiebung wieder eine Migrierende die Grenzen des Nationalstaats. Unter diesem Gesichtspunkt der Autonomie der Migration betrachtet, kristallisiert sich die Frage nach der Zweckmäßigkeit von Abschiebungen deutlich auf die Konstruktion von Diskursen, die auf menschlichen Körpern ausgetragen werden. Ob eine Person abgeschoben werden kann oder nicht, bezeichnet der Besitz einer Staatsbürger_innenschaft, die wiederum auf zweifelhaften Kriterien nationaler Zugehörigkeit beruhte. So konnte der SS-Freiwillige bis zu seinem Tod 2012 nicht zur Verurteilung in die Niederlande zurückgeschoben werden, weil Hitlers Dekret ihm die deutsche Staatsbürger_innenschaft zugesprochen hatte. Abschiebungen funktionieren, um die Grenze zwischen Nicht-Bürger_innen und Bürger_innen aufrechtzuerhalten. Wie vollzog sich die Entpolitisierung eines menschlichen Körpers? Wichtig erschien ihr dabei das Handeln geopolitischer Räume, denn wo die Ausweitung der Demokratie militärisch vorangetrieben wurde, war gefühlsgeografisch getrennt von dem Ort, an dem Abschiebung die Ausweitung der Demokratie verhindern sollte – und zwar auf ein Kollektiv von Migrierten, die als Abtrennung von der homogenen nationalstaatlichen Bevölkerung definiert waren, durch die Entpolitisierung einzelner Körper und ihre Eingliederung in einen entrechtenden Diskurs um Strafe und Menschlichkeit. Migrationspolitik befand sich dabei aber in der Defensive gegen autonome globale Bewegungen, Abschiebungen kämpften einen verlorenen Kampf, verliehen sich aber durch ebenjene Diskurse erneuerte Legitimität. Migration agierte autonom und zeichnete sich gerade dadurch aus, dass Migrierende sich ebenjene Rechte durch ihre Taten nahmen, die ihnen verwehrt werden sollten. Abschiebungen konnten eindeutig nicht Migration kontrollieren, geschweige denn einschränken, sondern waren immer symbolische Verwaltungsakte, waren Gewalt, weil die Macht in der Autonomie der Migration lag. Aber Abschiebungen waren nicht nur Legitimation von Souveränität durch exemplarische Gewalt, sondern stellen auch den letztverbliebenen Weg dar, Migrierte von Bürger_innen zu unterscheiden, und damit ihnen den Zugang zu Rechten abzuschneiden. Die Abschiebedrohung, schreibt Oulios weiter, baue den nötigen Druck auf, ‚Integrationsleistungen‘ einzufordern, und damit von nur einer Gruppe Personen im Staatsgebiet etwas zu verlangen, das ihre Fremdheit unterstrich und ihre Zugehörigkeit als etwas konstruierte, das sie erst beweisen mussten. Abschiebungen waren damit auch Teil einer Manifestation des Empire. Nicht nur transzendierte sie Grenzen und machte damit eine Innenpolitik außerhalb eines Staatsgebiets nötig, sondern gewichtete auch Hierarchien von Nationalstaaten in alter Ordnung. Migration wirkte dem entgegen und schuf neue Geografien aus der Politik des Körpers. „Die Funktion der Abschiebung besteht nicht darin, Einwanderung zu verhindern – das könnte sie nicht. Ihre Funktion besteht darin, die Ausweitung der Demokratie zu verhindern. Eine Demokratie, die in der Aneignung des Rechts auf Bewegungsfreiheit, des Rechts auf Einwanderung und des Rechts auf Rechte (um den berühmten Begriff Hannah Arendts aufzugreifen) praktiziert wird.“


april 2016

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