Wenn ich über den Marktplatz gehe, dann hängt da ein Wahlplakat, auf dem die AfD verspricht, “Frühsexualisierung” zu stoppen. So ja auch schon in der Magdeburger Erklärung der AfD Sachsen-Anhalt: "Wir bekennen uns zum Recht jedes Kindes, vor Frühsexualisierung geschützt zu werden." Damit meint sie: selbstbestimmten Aufklärungsunterricht zu stoppen, queere junge Menschen der Gewalt auf Schulhöfen weiterhin auszuliefern, und queeren jungen Menschen in ein zerstörerisches Selbstbild zu erziehen – wir seien krank, falsch, und allein. Dem gilt es, entschieden zu widersprechen und sich für Alternativen einzusetzen! Wenn die seelische und körperliche Gesundheit von trans Kindern und Jugendlichen ignorieriert wird, um politischen Kitsch zu produzieren, hat das nichts mit Kindeswohl zu tun. Dann geht es um einen systematischen Angriff auf Minderheiten, die in einem hetero-sexistischen System diskriminiert werden. Dann ist das ein Angrif auf feministische Bewegungen und auf queere Kämpfe. Jedes Kind hat ein Recht darauf, so früh wie es mag über den eigenen Körper zu lernen. Jedes Kind hat ein Recht darauf, dies von verantwortungsbewussten Pädagog_innen zu lernen, stat aus Internet-Videos. Jedes Kind hat ein Recht darauf, über die eigene Sexualität und Geschlechtsidentität zu sprechen und sich mit den Erfahrungen nicht allein zu fühlen. Jedes Kind hat ein Recht darauf, von Kindergärten und Schulen aktiv und präventiv gegen Mobbing unterstützt zu werden. Jedes Kind hat ein Recht darauf, ‘trans’ nicht zuerst als Schimpfwort kennenzulernen. Jedes Kind hat ein Recht darauf, sich nicht selbst verleugnen zu müssen und sich nicht disziplinieren zu lassen – Jedes Kind hat ein Recht auf eine Kindheit ohne Heteropatriarchat!
Sich gegen den Antifeminismus und Rassismus der AfD zur Wehr zu setzen, bedeutet auch: die Kämpfe von trans kleinen und großen Menschen zu hören. Der Hass richtet sich auch gegen uns. Wir sind als Minderheit nach wie vor wenig geschützt, Vorstöße des Verfassungsgerichts und der Aktivismus der trans Verbände seit Jahrzehnten werden immer aggressiver zurückgedrängt – zuletzt aus dem Innenministerium und dem Justizministerium. Wir spüren das veränderte Klima an der Hetze im Internet, an den Übergrifen auf der Straße, an den Schimpfwörtern auf dem Schulhof. Trans Personen waren noch nie sicher – jetzt werden unsere Rechte weiter beschniten und öfentlich gegen uns gehetzt. Wir sind eine kleine Minderheit, und die Empörung hält sich in Grenzen. Denn das rechte Fabulieren über ‘Frühsexualisierung’ und ‘Transgenderismus’, die transphoben Begrife, die Hetzreden gegen trans Minderheiten, ist für uns nicht abstrakt – sondern sehr konkret. Wir müssen mehr darüber sprechen, stat genau wie die AfD als ‘Minderheitenbelange’ abzutun.
Tatsächlich wird in den Medien und auch in den Parlamenten viel über <trans> gerdet. Dabei geht es aber nicht wirklich um trans Personen und ihre Lebensrealitäten. <trans> bleibt in diesen Diskussionen ein Symbol, für den Verfall unserer Gesellschaft für die einen, für die Freiheit und Selbstbestimmung für die anderen. Doch sie alle sprechen über <trans> stat uns selbst einen Platz einzuräumen. Damit muss Schluss sein! Wir sind dankbar um Unterstützung und Solidarität. Aber wenn Menschen ohne uns zu fragen für uns über uns sprechen, dann ist das eine überhebliche Vereinnahmung. Dagegen wehren wir uns! Wir sind da, reale Personen. Ihr könnt mit uns reden. Mit uns Musik hören. Spazierengehen, streiten, und nachts auf dem Marktplatz picknicken. Ihr könnt mit uns kämpfen. Statdessen bleiben wir ungehört, ungesehen. Fällt euch ein_e Künstler_in in eurer Playlist ein, die trans ist? Ein_e in eurem Bücherregal? Professor_in, Politiker_in, überhaupt irgend_eine?
Wir bleiben ungehört, ungesehen. Und das ist fatal: fast die Hälfte aller jungen trans Personen hat mindestens einmal versucht, sich umzubringen, zwei Dritel sich selbst verletzt. Diese Zahlen schockieren, machen uns sprachlos. Viele trans Personen erfahren Gewalt täglich: von verletzenden Kommentaren bis hin zu körperlichen Übergrifen auf den Straßen unserer Städte. Alle trans Personen, die wir im Kollektiv kennen, brauchen psychotherapeutische Unterstützung. Und das liegt nicht daran, dass wir <krank> sind – das liegt daran, dass wir überall über Steine oder gestellte Beine stolpern, die es uns unmöglich machen, ein Leben wie viele cis Personen es kennen, zu leben.
Damit das aufhört, müssen sich viel mehr Menschen fragen, was sie dazu beitragen können, dass Orte wie Schulen, Betriebe, Demonstrationen, Universitäten, Schwimmhallen, Sportvereine, Familientrefen, Chöre, Elterncaés … lebbarer werden für Menschen aller Geschlechter. Und das gilt auch für emanzipatorische Bewegungen.
Solidarität ist eine Chance, eine gerechtere Welt schon jetzt in unseren eigenen Bewegungen durchscheinen zu lassen. Solidarität bedeutet für uns mehr als ein Wort, mehr als ein zusätzlicher Absatz in Aufrufen.
Solidarität bedeutet für uns: dass einzelne Deutungshoheit abgeben. Dass emanzipatorische
Bewegungen sich nie selbst genug sind, sondern der Herausforderung stellen, die andere_
Perspektiven bedeuten. Dass Zugangshürden aktiv abgebaut werden. Dass Macht immer hinterfragt wird, und der Elefant im Raum zum Problem wird, sei es Rassismus, Islamophobie,
Transfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit, Antiromaismus, Altersdiskriminierung,
Antisemitismus, Klassismus, Diskriminierung von Ostdeutschen, oder etwas anderes. Dass wir einander anerkennen in unseren jeweils eigenen Erfahrungen und Perspektiven. Wenn wir einander sehen und hören, stat eifersüchtig Privilegien zu hüten, kann Platz werden für alle in unseren unterschiedlichen Kämpfen.
Denn das Problem heißt Sexismus, und unsere Antwort: Widerstand.
Auf dieser Kundgebung kommen verschiedenste Menschen und Gruppen zusammen. Diese
Unterschiede anzuerkennen ist wichtig. Und gerade darin wird die Frage deutlich nach der
Möglichkeit von Bündnissen über die Unterschiede hinaus, eine Zusammenarbeit, die die
Anerkennung der Unterschiede möglich macht und die refektiert, wie Machtverhältnisse und
Ausschlüsse gerade auch in unseren eigenen Bewegungen und Gruppen passieren.
Wir träumen von Zusammenschlüssen von Menschen, die sich austauschen, anerkennen und
einander solidarisch unterstützen. Die Grundlage für diese Solidarität ist: einander zuhören, den anderen_ Menschen Raum in den eigenen_ politischen Kämpfen schafen, Deutungsmacht über emanzipatorische Kämpfe abgeben.
Wir trans Leute sind manchmal uneindeutig und verwirrend – und das ist Teil unserer Schönheit …
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