Wie kann ein feministisches Streiten in Solidarität mit unseren verschiedenen Erfahrungen und Perspektiven aussehen?
Viele von uns trans Personen, die politisch aktiv sind, erfahren, dass wir auch in feministischen Bewegungen am Rand stehen. Cis weibliche Feminist_innen haben Zweifel: ob unsere Kämpfe auch feministische sind, ob cis und trans weibliche Sozialisationen Berührungspunkte haben, ob unsere Körper wirklich weibliche sind, wenn wir sie trans (NichtbinärTransfemininFemme_) nennen … Wir haben oft andere Erfahrungen gemacht. Wir kämpfen oft an anderen Orten. Darüber zu sprechen, ist wichtig. Aber nicht ohne uns!
In feministischen Diskussionen heute wird <trans> bloß als Mittel, als Werkzeug benutzt.
Da sind konservative Feminist_innen, für die es biologisch festgeschrieben nur Männer und Frauen gibt. Sie sehen in <trans> eine Krankheit, ein absurdes Geschwür der Moderne, um ihre klare Deutung von Geschlecht durchzusetzen.
Da sind die Feminist_innen der Dritten Welle seit den 90ern. Sie idealisieren <trans> als kritische Praxis, die Geschlecht als Gedankengebäude entlarvt, und vergessen, dass wir echte Menschen mit echten Kämpfen sind. Kämpfe, die sich ja oft gerade um die Erfahrung einer geschlechtlichen Realität drehen.
Und da sind die, die in uns bittere Verfechter_innen unserer eigenen Identitätspolitik sehen. Sie befürchten, dass feministische Bewegungen ihren Fokus verlieren, wenn sie sich gegenüber trans Personen öffnen.
Doch sie alle sprechen über trans Personen und ihre Lebensrealitäten, statt uns selbst einen Platz einzuräumen. Die öffentliche Diskussion über <trans> findet ohne trans Personen statt. Damit muss Schluss sein! Wir sind dankbar um Unterstützung und Solidarität. Aber wenn Menschen ohne uns zu fragen für uns über uns sprechen, dann ist das eine überhebliche Vereinnahmung. Dagegen wehren wir uns! Wir sind da, reale Personen. Ihr könnt mit uns reden. Mit uns Musik hören. Spazierengehen, streiten, und nachts auf dem Marktplatz picknicken. Ihr könnt mit uns kämpfen. Stattdessen bleiben wir ungehört, ungesehen. Fällt euch ein_e Künstler_in in eurer Playlist ein, die trans ist? Ein_e in eurem Bücherregal? Professor_in, Politiker_in, überhaupt irgend_eine?
Wir bleiben ungehört, ungesehen. Und das ist fatal: fast die Hälfte aller jungen trans Personen hat mindestens einmal versucht, sich umzubringen, zwei Drittel sich selbst verletzt. Diese Zahlen schockieren, machen uns sprachlos. Viele trans Personen erfahren Gewalt täglich: von verletzenden Kommentaren bis hin zu körperlichen Übergriffen auf den Straßen unserer Städte, oder im Kreis der Familie. Alle trans Personen, die wir im Kollektiv kennen, brauchen psychotherapeutische Unterstützung. Und das liegt nicht daran, dass wir <krank> sind – das liegt daran, dass wir überall über Steine oder gestellte Beine stolpern, die es uns unmöglich machen, ein Leben wie viele cis Personen es kennen, zu leben.
Damit das aufhört, müssen sich viel mehr Menschen fragen, was sie dazu beitragen können, dass Orte wie Schulen, Betriebe, Universitäten, Schwimmhallen, Sportvereine, Familientreffen, Chöre, Elterncafés … lebbarer werden für Menschen aller Geschlechter. Und dazu gehören eben auch feministische Strukturen.
Sicher haben wir oft unterschiedliche Erfahrungen und abweichende Perspektiven auf Feminismus. Doch wenn das zum Grund dafür wird, Perspektiven von trans Personen auszuschließen, dann ist der Preis davon hoch. Das ist genauso mit Schwarzen Frauen*, Frauen* of Color, Frauen* mit Behinderung, nicht akademisch gebildeten Frauen*, muslimischen Frauen*, jüdischen Frauen*, religiösen Frauen*, arme Frauen* und vielen anderen, die nicht nur als Frau* Diskriminierung erfahren. Der Preis von Ausschlüssen ist: selbst zum Machtinstrument zu werden, selbst mehrfach diskriminierte Frauen* an den Rand zu drängen.
Es kann schwer sein, sich wirklich auf andere Perspektiven einzulassen, Deutungshoheit abzugeben, also nicht mehr allein zu entscheiden, wer wie über was sprechen kann, was Feminismus ist, wie Kämpfe aussehen. Es kann sich so anfühlen, als würde die eigene Bewegung dadurch ihr Gesicht verlieren.
Stattdessen möchten wir gern Solidarität als Chance begreifen, eine gerechtere Welt schon jetzt in unseren eigenen Bewegungen durchscheinen zu lassen. Solidarität bedeutet für uns mehr als ein Wort, mehr als ein zusätzlicher Absatz in Aufrufen.
Solidarität bedeutet für uns: dass einzelne Deutungshoheit abgeben. Dass feministische Bewegungen sich nie selbst genug sind, sondern der Herausforderung stellen, die andere_ Perspektiven bedeuten. Dass Zugangshürden aktiv abgebaut werden. Dass Macht immer hinterfragt wird, und der Elefant im Raum zum Problem wird, sei es Rassismus, Islamophobie, Transfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit, Antiziganismus, Altersdiskriminierung, Antisemitismus, Klassismus, Diskriminierung von Ostdeutschen, oder etwas anderes. Dass wir einander anerkennen in unseren jeweils eigenen Erfahrungen und Perspektiven. Wenn wir einander sehen und hören, statt eifersüchtig Privilegien zu hüten, kann Platz werden für alle in unseren unterschiedlichen Kämpfen.
Denn das Problem heißt Sexismus, und unsere Antwort: Widerstand.
Die anschließende Nachttanz-Demo ist so ein Raum, in dem unsere Kämpfe zusammenkommen, in denen wir uns gemeinsam befähigen: Wir alle erfahren diese nächtlichen Straßen als Orte der Verunsicherung und Gewalt – wir können so gemeinsam nach Strategien suchen, dass diese Straßen wieder unsere werden.
Wir träumen von Zusammenschlüssen feministischer Menschen, die sich austauschen, anerkennen und einander solidarisch unterstützen. Die Grundlage für diese Solidarität ist: einander zuhören, den anderen_ Menschen Raum in den eigenen_ politischen Kämpfen schaffen, Deutungsmacht feministische Kämpfe und die Erfahrung von Weiblichkeit abgeben.
Wir trans Leute sind manchmal uneindeutig und verwirrend – und das ist Teil unserer Schönheit …
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