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Redebeitrag zur Gedenk-Demo gegen den rechten Terror : Bündnisse gegen den Terror

Updated: May 11, 2020

Spätestens im NSU-Komplex wurde deutlich, dass die weiße Linke kaum etwas weiß über die Jahrzehnte Widerstandsgeschichte Betroffener gegen den rechten Terror [1]. Migrantischer, diasporischer, Schwarzer, jüdischer, trans und PoC Widerstand, meistens selbstorganisiert, militant oder zivil-ungehorsam, wird immer noch ausgeblendet oder von weißen Aktivist_innen durch ihr Engagement, das sie besser hörbar machen können, überschrieben. Der wichtigste, nachhaltigste und kraftvollste Widerstand gegen Rassismus ging immer von selbstorganisierten Betroffenen aus. Die weiße Linke muss ihr Versagen in konsequenter Antirassismus-Arbeit anerkennen, Rassismus, Antisemitismus und andere Machtstrukturen in den eigenen Reihen thematisieren, und auf Betroffenen-Perspektiven hören. Als weiße Person muss ich mich mit der langen und vehementen Geschichte migrantischen, jüdischen, diasporischen, PoC und Schwarzen Widerstands beschäftigen. Ich merke ja bei mir selbst, wie weiß-überhebliche Ausschlussmechanismen funktionieren.

Und immer noch – rassistischer, transfeindlicher, homophober, behindertenfeindlicher, mysogyner und antisemitischer Terror bleibt eine alltagsprägende Kraft – die Zeiten haben sich nicht verändert. Es wird Zeit, dass unsere Bündnisse sich verändern [2].

Wir stehen hier aus gutem Grund gemeinsam. Der rechte Terror macht uns Angst, uns nervt, wie darüber berichtet wird, wir wollen uns gegen Angriffe verteidigen. Das ist wichtig, denn das macht die Angst kleiner und uns stärker. Aber ich habe auch Bauchschmerzen, wenn ich sehe, wie das Zusammenarbeiten oft aussieht.

Es gibt schon seit Jahrzehnten eine wachsende Literatur zu antirassistischer, feministischer und antisemitismuskritischer Bündnisarbeit von migrantischen, jüdischen, diasporischen, PoC und Schwarzen Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen, die aber immer noch von der weißen antirassistischen Linken kaum zur Kenntnis genommen wird [3]. Ich will hier kurz zusammenfassen, was ich aus diesem Austausch gelernt habe:

1. Wir sind in einer Gesellschaft sozialisiert, die durch Machtverhältnisse geprägt ist. Es ist nicht verwunderlich, dass diese Machtverhältnisse auch in unseren Bündnissen wirken. Aktivist_innen müssen die eigene Positionierung anerkennen und sich immer wieder selbstkritisch befragen. Bündnisse müssen zuallererst das besprechen: wie wir gemeinsam mit Macht in unseren eigenen Räumen umgehen, und was wir dafür brauchen. [4]

2. Wenn ich in einem feministischen Bündnis immer wieder transfeindlich angegriffen werde, dann haben wir vielleicht eine Demo zum 8. März organisiert, aber ich noch Wochen mit den Verletzungen zu kämpfen. Auf schnelle Aktion zu pochen und die Auseinandersetzung mit Rassismus, Transfeindlichkeit, Sexismus und Antisemitismus in den eigenen Räumen hinten anzustellen, können sich nur die leisten, die davon nicht betroffen sind [5]. Wenn wir es stattdessen schaffen, Bündnisse zu bauen, in denen wir einander empowernd, machtkritisch und solidarisch begegnen, dann haben wir viel erreicht. Dann haben wir uns Räume erkämpft, die uns der rechte Terror nehmen will, und für uns selbst eine starke Basis geschaffen. Lasst uns mehr Zeit für Austausch haben, einander zuhören und darüber sprechen, was wir jeweils brauchen, um zusammenarbeiten zu können.

3. Meine Bündnisse gegen den rechten Terror sind nicht #unteilbar. Hengameh Yaghoobifarah hat diese Woche #unteilbar für seine Offenheit gegenüber antisemitischer Verschwörungen über die “Eliten” und seine bürgerlich-weiße Positionierung kritisiert: „Ich lasse mich sehr schnell teilen, wenn ich etwa in einer Gruppe von Leute menschenfeindliche Tendenzen entdecke.” [6] Nach Unteilbarkeit und Dialog mit breiten politischen Positionen zu rufen ist leicht für Leute, die von der Hetze dieser Menschen nicht betroffen sind. Ich brauche sicherere Räume, in denen ich so sein kann, wie ich bin, und in denen transmysogyne Machtstrukturen keinen Platz haben.

4. Solidarische Bündnisarbeit beginnt nicht erst im Zusammenschluss mehrerer Gruppen. Bündnisarbeit ist alltäglich. Bündnisse sind auch Beziehungen, in denen wir aufeinander achtgeben, und nacheinander schauen [7]. Lasst uns noch weiter solidarische Bündnisse miteinander eingehen, in denen wir uns gegenseitig fragen, wie es uns geht, was wir brauchen, wie wir uns gegen rechte Angriffe schützen können, und wie wir gemeinsam der Angst und Ohnmacht widersprechen können. Als ich 2016 drüben auf dem Marktplatz von Nazis transfeindlich angegriffen wurde, hat mir gutgetan, darüber zu sprechen, mir Verbündete zu suchen, die mich nach hause begleitet haben, mich gestärkt haben und mir meine Handlungsfähigkeit zurückgegeben haben [8]. Bündnisse beginnen, wenn wir miteinander Räume schaffen, in denen wir Selbstbefähigung und Selbstermächtigung erfahren [9]. Solidarität ist praktisch, und beginnt hier und heute, wenn wir uns gegenseitig bestärken und uns im Widerstand gegen den rechten Terror zusammenschließen.

Alltägliche und langfristige Bündnisse sind meine persönliche Antwort auf transfeindliche Angriffe und den rechten Terror. Bündnisse bestärken mich. Dass ich durch Halle gehen kann, weil ich weiß, dass wir aufeinander aufpassen und füreinander einstehen.

Terror wirkt erst durch die Angst, die sich in unsere Leben schleicht. Lasst uns einander bestärken und gemeinsam Widerstand leisten: laut und leise, militant und emotional, kritisch und solidarisch.

_ ar

Hinweise und Anmerkungen

[1] Es sei erinnert, z.B. an Antifa Gençlik in Berlin, die die selbstorganisierten türkischen und kurdischen Berliner Jugendbanden ansprach und tausende organisierte, die Verteidigung gegen den alltäglichen rechten Terror selbst in die Hand zu nehmen, oder Café Morgenland in Frankfurt. An die selbstorganisierten Widerstands- und Verteidigungsgruppen als Reaktion auf die Morde an Mehmet Kaymakci und Ramazan Avci in Hamburg 1985. An Zeitschriften wie KöXüs und Basamak, die den Rassismus der deutschen Linken thematisierten. An den massiven Widerstand gegen die rassistische Berichterstattung über die NSU-Morde und die Unfähigkeit der deutschen Behörden. An riesige antirassistische Demonstrationen durch die Geschichte des rassistischen Deutschlands hindurch. An den von geflüchteten Aktivist_innen organisierten und durchgeführten Protest March for Freedom 2014 von Strasbourg nach Brüssel. An die anderthalbjährige Besetzung des Oranienplatzes in Berlin mit riesigen Demonstrationen für die Rechte von Geflüchteten, und die Besetzung der Gerhard-Hauptmann-Schule 2012, die Besetzung des DGB-Gebäudes und des Berliner Fernsehturms im Nachgang der Räumung. An den Hungerstreik auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor 2013, der erzwang, dass Abgeordnete den geflüchteten Aktivist_innen zuhörten, der Refugee Struggle Kongress, Besetzung des BAMF in Nürnberg. An FeMigra und ADEFRA, die als selbstorganisierte Bündnisse migrantischer bzw. afrodeutscher Feminist_innen dem Rassismus der weißen deutschen Frauenbewegung eine starke eigene Theorie und Aktion entgegensetzten. An die Menschen im Sonnenblumen-Haus in Rostock-Lichtenhagen, die sich bewaffneten, als die deutsche Polizei abzog. An die von Migrant_innen-Organisationen organisierte Demonstration als Reaktion auf den Pogrom 1992. An den Widerstand gegen die städtische Vereinnahmung des Gedenkens an die Opfer des Brandanschlags in Mölln 1992. An die vielen Beratungsstellen. An die Besetzung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme durch die Roma-Sinti-Union, um ihre Forderungen durchzusetzen. An die vielen Konferenzen migrantischer, jüdischer, Schwarzer und PoC Frauen* bis in die 1990er. An die hunderten geflüchteten, migrantischen und PoC Aktivist_innen, die von Abschiebung bedrohte Menschen verstecken. An die vielen von Abschiebung bedrohten Menschen, die abtauchen und sich solidarisch organisieren. An die Besetzung der TU Berlin durch 200 Geflüchtete, die nicht in ihren Lagern auf den nächsten Pogrom warten wollten. An die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh.

[2] Inspirierende Beiträge finden sich zum Beispiel im vor kurzem erschienenen Sammelband Unteilbar. Bündnisse gegen Rassismus, Jule Bönkost (hg.) (UNRAST-Verlag: Münster 2019).

[3] Eine Auswahl:

María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan: „Postkolonialer Feminismus und die Kunst der Selbstkritik“, in: Hito Steyer/Encarnación Rodríguez (Hg.), Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik (Münster 2003), 270-290.

Jasmin Dean: „Verzwickte Verbindungen. Eine postkoloniale Perspektive auf Bündnispolitik nach 1989 und heute“, in: Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft, Meron Mendel und Astrid Messerschmid (Hg.) (2017), 101-129.

FaulenzA: Support your Sisters, not your Cisters. Über Diskriminierung von Trans*Weiblichkeiten (edition assemblage: Münster 2017).

bell hooks: „Sisterhood. Political Solidarity Between Women“, in Feminist Theory. From Margin to Center, bell hooks (South End Press 1984), 43-65.

Katja Kinder: „Das Eingehen von Bündnissen ist eine bedeutende Investition!“, in: Was ist der Streit wert?, Heinrich-Böll-Stiftung (hg.), http://streit-wert.boellblog.org/2011/10/12/katja-kinder/ (letzter Zugriff: 8.5.2019).

Eleonora Roldán Mendívil: „‘Global Sisterhood‘? Zur (Un)Möglichkeit feministischer Bündnisse“, unveröffentlichtes Manuskript für die Konferenz Material Matters in Times of Crisis Capitalism, Gießen 2014. Online abrufbar unter: https://www.academia.edu/12837702/_Global_Sisterhood_-_Zur_Un_M%C3%B6glichkeit_feministischer_B%C3%BCndnisse

Sabine Mohamed: „Überlegungen zu geschlechterpolitischen Bündnissen, ihre Chancen, ihre Probleme und Totgeburten“, in Was ist der Streit wert?, Heinrich-Böll-Stiftung (hg.), http://streit-wert.boellblog.org/2012/01/19/sabine-mohamed/ (letzter Zugriff 15.5.2019).

Natascha Salehi-Shahnian: „Gemeinsam in Bewegung. Feminismen of Color in Deutschland“, in: Feminismen heute. Positionen in Theorie und Praxis, Yvonne Franke, Kati Mozygemba, Kathleen Pöge, Bettina Ritter, Dagmar Venohr (hg.) (transcript Verlag: Bielefeld 2014), 373-383.

Alyosxa Tudor: from [al'manja] with love: Trans/feministische Positionierungen zu Rassismus und Migrantismus (Brandes und Apsel: Frankfurt 2015).

Und nicht zuletzt die wundervollen Konferenzbände, die schon in den frühen 1990ern Weitsicht und Widerstand jüdischer, Schwarzer, diasporischer, migrantischer, PoC, proll-lesbischer und krüppel-lesbischer Feminist_innen dokumentieren, z.B.: Ika Hügel, Chris Lange, May Ayim, Ilona Bubeck, Gülşen Aktaş, Dagmar Schultz (Hg.): Entfernte Verbindungen. Rassismus Antisemitismus Klassenunterdrückung (Orlanda-Frauenverlag: Berlin 1993).

[4] So z.B. Ilinda Bendler, Laura Digoh-Ersoy, Nadine Golly: „Wechselnde Allianzen. Rassismuskritische Bildungsarbeit“, in: Unteilbar. Bündnisse gegen Rassismus, Jule Bönkost (hg.) (UNRAST-Verlag: Münster 2019), 15-30; Sabine Mohamed: „Überlegungen zu geschlechterpolitischen Bündnissen, ihre Chancen, ihre Probleme und Totgeburten“, in Was ist der Streit wert?, Heinrich-Böll-Stiftung (hg.), http://streit-wert.boellblog.org/2012/01/19/sabine-mohamed/ (letzter Zugriff 15.5.2019); Katja Kinder: „Das Eingehen von Bündnissen ist eine bedeutende Investition!“, in: Was ist der Streit wert?, Heinrich-Böll-Stiftung (hg.), http://streit-wert.boellblog.org/2011/10/12/katja-kinder/ (letzter Zugriff: 8.5.2019).

[5] Vgl. dazu FaulenzA: Support your Sisters, not your Cisters. Über Diskriminierung von Trans*Weiblichkeiten (edition assemblage: Münster 2017).

[6] Interview mit Hengameh Yaghoobifarah: „Was heißt ‚#unteilbar‘ für eine Sammlungsbewegung?“ in: Belltower.News (Amadeu Antonio Stiftung: 14.6.2019), online abrufbar unter: https://www.belltower.news/interview-mit-hengameh-yaghoobifarah-was-heisst-unteilbar-fuer-eine-sammlungsbewegung-86607/

[7] Siehe dazu auch Josephine Apraku: „Liebe. Rassismuskritische Bündnisarbeit für radikale Menschlichkeit“, in: Unteilbar. Bündnisse gegen Rassismus, Jule Bönkost (hg.) (UNRAST-Verlag: Münster 2019), 58-76.

[8] Wenn ihr selbst Übergriffe erfahren habt, könnt ihr euch an die Mobile Opferberatung wenden. Die können dann mit euch schauen, was für euch jetzt gut ist. Online-Beratung: https://mobile-opferberatung.beranet.info/startseite.html, oder vor Ort in der Platanenstraße 9 (Tel.: 03452267100, Mobil: 01702948413, 015153318824 und 01751622712, Whatsapp: 01512 / 2238538).

[9] Marina Chernivsky & Romina Wiegemann: „Antisemitismus als individuelle Erfahrung und soziales Phänomen – Zwischen Bildung, Beratung und Empowerment“, in Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 21 (2017), 1–8. Aus der Arbeit des Kompetenz-Zentrums für Prävention und Empowerment (https://zwst-kompetenzzentrum.de/) kann empowernde selbstorganisierte Arbeit von Betroffenen für Betroffene noch viel lernen.

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