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Verdammte dieser Erde? Solidarität im feministischen Streik

Updated: Jan 10, 2021

Thesen zur praktischen Möglichkeit der macht-kritischen Solidarität im feministischen Streik

Eingang.


Solidarität als zentrale Herausforderung feministischer Theorie und Praxis heute

Was bedeutet es, mit einem gemeinsamen Streik aller Frauen_ Solidarität einzugehen? Wie liegen die Möglichkeiten und Grenzen dieser Solidarität in unseren Macht-Verhältnissen zueinander? Wie kann eine gemeinsame Position der Solidarität formuliert werden, die für die Wirksamkeit von Macht kritisch bleibt? Wie bestimmt wer, wer als ›Frauen_‹ streikt, zwischen welchen Gruppen Solidarisierung und Entsolidarisierung stattfinden?


Seit bell hooks‘ Kritik am Begriff der ›Schwesternschaft‹ ist es noch weiter unmöglich geworden, die gemeinsame Unterdrückung im Patriarchat zu buchstabieren. Sie kritisierte vor allem weiße bürgerliche Feministinnen, dass diese ausschließlich Gemeinsamkeiten betonten und damit besonders die Erfahrung von Sexismus in rassistisch geordneten Gesellschaften ausblenden und ausschließen:

The idea of ›common oppression‹ was a false and corrupt platform disguising and mystifying the true nature of women‘s varied and complex social reality. Women are divided by sexist attitudes, racism, class privilege and a host of other prejudices. Sustained woman bonding can only occur when these divisions are confronted and the necessary steps are taken to eliminate them. (bell hooks 1984: 44)

Queere, postkoloniale, materialistische, religiöse und jüdische feministische Bewegungen, sowie Bewegungen, die noch stärker gegen die Normierung der Körper (in Bezug auf Behinderung, Gewicht, Geschlecht und mehr) handeln, haben endlich die Möglichkeit ausgeräumt, eine einheitliche Front der Frauen_ gegen eine einheitliche Form der Unterdrückung zu formulieren. Machtverhältnisse werden unterschiedlich analysiert, Betroffenheit im Patriarchat wirkt sich unterschiedlich aus – denn: Position und Perspektive werden nicht nur von Sexismus, sondern vielen anderen Machtverhältnissen bestimmt. Und »[d]a es viele Formen antipatriarchaler Zusammenschlüsse gibt, ist die Frage von Bündnispolitik für einen praktischen Feminismus zentral« (Eleonora Roldán Mendívil 2014: 4f.). Deshalb bleibt es dabei – gerade in einer neoliberal geordneten Welt der Vereinzelung: »Solidarity strengthens resistance struggle« (bell hooks 1984: 44). Und das ist bitter nötig, denn Rassismus, Sexismus, Körpernormen und Antisemitismus wirken weiter, ob wir zu Zusammenarbeit fähig sind oder nicht.


Die Welt, in die wir gesetzt sind, mag entmutigen: Machtverhältnisse geben sich den Anschein über-zeitlicher Phänomene, als seien sie schon immer dagewesen, als wäre unser Kampf dagegen ohnehin sinnlos. Dagegen muss eine feministische Theorie und Praxis den Anfang der Unterdrückung benennen, um auch ihr Ende in Aussicht stellen zu können, uns aus der Ohnmacht herausholen. Diese Machtverhältnisse nämlich sind keine ewigen oder heiligen Hallen, vor denen wir in Ohnmacht und Ehrfurcht erstarren. Sie sind in einem bestimmten Kontext entstanden und werden heute in bestimmten Kontexten re-inszeniert, umgeprägt und neu formuliert. Sie wirken konkret in Situationen, Institutionen und

Strukturen. Weil wir strategische Allianzen immer dann eingehen, wenn wir hoffen, gemeinsam wirksamer gegen diese Machtverhältnisse handeln zu können, wirken auch unsere Bündnisse konkret und in ihren jeweiligen Kontexten. Ihre Arbeit ist zeit-gebunden und findet zwischen konkreten Menschen in konkreten Räumen statt. Bündnisse – wie das feministische Streik-Bündnis – müssen daher immer wieder auf ihre Wirksamkeit und Aktualität hinterfragt und danach überprüft werden, wie sich eventuell schon mit ihrer Gründung angelegte oder später produzierte Ausschlüsse bestreiten und durch Zugänge ersetzen lassen. Je nachdem, wie diese Fragen ausgehen, können Bündnisse auch wieder aufgegeben werden.


Auch in den Diskussionen um das feministische (oft auch "Frauen*") Streik-Bündnis werden immer wieder diese zentralen Fragen der Möglichkeit und Grenzen der solidarischen Arbeit in Bündnissen gestellt. Mehre Beiträge haben mich bewegt und nachdenklich gemacht, Widerstände ausgelöst und Auseinandersetzung angestoßen, darunter: Maayan Z. Ashash, Danna Marshall, Narges Nassimi, Eleonora Roldán Mendívil, Anka Schneidermann, Asmara Tensil und Chandrika Yogarajah im MiGAZIN vom 6.3.2019, "Die deutschen Sarsours" in der Jungle World vom 7.3.2019 von Merle Stöver, der Bericht von Dimitra Dermitzaki und Eleonora Roldán Mendívil über den Besuch von Selma James im LowerClassMagazine vom 18.11.2018, ein Diskussionsbeitrag der AG Feministische Kämpfe (FAU Dresden) vom 19.2.2019 (https://dd.fau.org/2019/02/19/debatte-wer-streikt-beim-feministischen-und-frauen-streik/), das Interview mit dem Frauen*streik Komitee Berlin in der iz3w März/April 2019, der Beitrag von Yanira Wolf im express 1/2019, Kerstin Wolter und Alex Wischnewski vom 5.12.2018 im neuen deutschland und vom März 2019 in der Luxemburg (https://www.zeitschrift-luxemburg.de/eine-feministische-internationale-wie-sich-frauen-ueber-grenzen-hinweg-organisieren/). Sie haben mir Lust gemacht, auch einige Gedanken zur Diskussion zu stellen – in der Diskussion um feministische Solidarität und solidarische Kritik, in der ich mehr Fragen als Antworten habe, und mir mehr Räume des solidarischen Streitens wünsche. Die Arbeit auf den 8. März hin war für mich eine Zeit großer Lebendigkeit, Handlungsfähigkeit und Beziehung – und gleichzeitig ein Raum des Kämpfens innerhalb der feministischen Positionen und mit den unterschiedlichen Feminist_innen, die dort zusammenkamen.


Außerhalb meiner queerfeministischen Blase ist es nicht selbstverständlich, dass ich mich als trans Person in feministischen Räumen bewegen darf, dass ich irgendwie dazugehöre, dass einige meiner Kämpfe auch feministische sind, dass ich auch von Sexismus betroffen bin. In der Organisierung zum Frauen_-Streik wurde immer wieder ›trans‹ zum umkämpften Feld feministischer Identitätsbildung: die einen sahen in uns nicht die richtigen Frauen, die anderen inszenierten unsere trans_männlichen Geschwistern als Gefahr, wieder andere sahen das ›politische Subjekt der Frau‹ durch die Ausweitung auf nicht-binäre Identitäten bedroht, oder universalisierten die Erfahrung von cis Frauen als allgemein bindend. In einer transphob, misogyn und sexistisch strukturierten Gesellschaft verwundert es nicht, dass Transphobie, Transmisogynie und binäre Geschlechtersysteme auch in feministischen Bewegungen gegen einen trans inklusiven Feminismus verteidigt werden - schon gar nicht in weiß und cis feministisch dominierten Bewegungen der Mittelschicht, die auf eine lange Tradition des Ausschlusses von trans Personen zurückblicken können (vgl. Jin Haritaworn 2005). Diese und andere Ausschlüsse müssen reflektiert und bearbeitet werden, wenn der feministischen Streik nicht auf eine kleine Gruppe privilegierter Menschen beschränkt bleiben soll.


Gleichzeitig habe ich viel Solidarität und Zuspruch erfahren. Ich habe erfahren, dass solidarische Feministinnen der Transphobie ihrer Genossinnen widersprochen haben. Ich habe erfahren, dass solidarische Feministinnen sich fragen, wirklich fragen, wie die Ausschlüsse kleiner werden können. Ich habe erfahren, dass solidarische Feministinnen fair und offen kommunizieren und Verletzlichkeit zulassen. Wegen dieser Erfahrungen und Personen ist der feministische Streik für mich ein Ort geblieben, an dem ich mit meinen politischen Kämpfen Platz finde. Und doch frage ich mich, was da eigentlich dran ist, an der (überraschenderweise wieder) viel besungenen Solidarität. In emanzipatorischen Bewegungen hat sich oft seit der naiven Beschwörung der Internationale, in unzulässiger Relativierung eines der Kapitalverbrechen der europäischen un_Menschheit ein ›Heer der Sklaven‹, nicht viel verändert, und lässt deshalb fast immer noch Platz für Paternalismus, reproduzierte Machtverhältnisse, farbenblinden Universalismus oder unkritischen Relativismus, und unreflektierte Binaritäten von stark/schwach. Ausgehend von einer Kritik an diesen Strukturen möchte ich einige Überlegungen anstellen, welche Kriterien eine reflektierte und radikal politische Solidarität ausmachen und sie gegen Deutungshoheit und narzisstische Identitätsbildung absichern könnten. Ich habe in meiner eigenen Auseinandersetzung viel von jüdischen, Schwarzen und Women_ of Color Theoretiker_innen/Aktivist_innen gelernt – und weil noch nicht so viel trans Theorie-Produktion öffentlich sichtbar ist, nehme ich in diesem Artikel Bezug auf diese Positionen. Wir teilen viel, was Stigmatisierung, Marginalisierung und Ausschlüsse aus feministischen Bewegungen angeht. Als weiß positionierte trans Person bin ich dennoch in rassistischen Strukturen privilegiert und will auf keinen Fall anders marginalisierte Theorie und Aktivismus für meine eigenen Kämpfe aneignen, oder naiv einen gemeinsamen Kampf der Unterdrückten formulieren – doch dazu später mehr.


1. Solidarität muss praktisch werden

In israelsolidarischen wie auch in antizionistischen, antiimperialistischen und internationalistischen Gruppen spielt die Formulierung von Solidarität eine große Rolle. Dabei stellt die Formulierung dieser Solidaritäten meist sicher, dass praktische Handlungsfelder von vorneherein ausgeschlossen sind. Sie positionieren sich solidarisch zu Völkern, Staaten, Klassen und anderen zunächst abstrakten Kollektiven und lassen offen und fraglich, was ihre Solidarität für diese Kollektive bedeuten könnte, oder auch nur, welche konkreten Handlungsfelder daraus folgen könnten. Hier geht es oft nicht um Solidarität mit konkreten Menschen in konkreten Lebenssituationen, sondern um die eigene Identitätsbildung und die Positionierung innerhalb von politischen Diskursen in der deutschsprachigen Linken.

Gegen eine solche Funktionalisierung für die eigene Identitätsbildung kann nur helfen, von abstrakt fomulierten Solidaritäten Abstand zu nehmen und durch konkret praktizierter Solidarität mit politischen Gruppen zu ersetzen. Solidarität muss praktisch werden, und konkret etwas austragen für jene politischen Gruppen und Kämpfe, denen wir uns solidarisch zeigen. Eine praktisch gedachte Solidarität bleibt nicht bei Solidaritätsbekundungen stehen, sondern informiert sich und sucht nach Handlungsformen der langfristigen und konkreten Unterstützung. Eine Form der praktischen Solidarität ist feministische Bündnisarbeit, aber längst nicht die letzte. Stärker sichtbare Feminist_innen (wie weiße cis feministische Gruppen) können ihre Ressourcen und Zugänge dafür nutzen, weniger sichtbaren Gruppen und Feminist_innen die Arbeit zu erleichtern, indem sie im Austausch Wege finden, Gelder umzuverteilen oder unsichtbaren Stimmen Gehör zu verschaffen. Das geht nicht, ohne den Paternalismus der Privilegierten gründlich zu reflektieren und im Austausch zu überlegen, wo die Grenzen zwischen Solidarität und Abhängigkeit, Solidarität und Funktionalisierung, Solidarität und Deutungshoheit, Solidarität und Hierarchien verlaufen.


2. Solidarität muss Machtverhältnisse bekämpfen

Solidarität zwischen Feminist_innen und feministischen Gruppen auf einem gemeinsamen Frau_sein zu formulieren, universalisiert die Erfahrungen weißer ableisierte cis Frauen der Mittelschicht. Zwar sind sie Privilegierte in den Machtverhältnissen, die unsere Gesellschaft ordnen, und können ihre Positionen leichter zu Gehör bringen und für ihre Kämpfe wirksamer Sichtbarkeit einfordern – doch auch sie arbeiten innerhalb der rassistischen, sexistischen, klassistischen und heteronormativen Machtverhältnisse, die ihre Körper so dicht an der Norm hergestellt hat. Wir haben alle unterschiedliche Erfahrungen, abhängig oder auch nicht von unserer sozialen Positionierung gemacht, die uns auch zu unterschiedlichen politischen Kämpfen führen und in einigen Punkten zusammenkommen lassen (vgl. Ika Hügel, Chris Lange, May Ayim, Ilona Bubeck, Gülşen Aktaş, Dagmar Schultz 1999). ›Feminismus‹ im Singular zu formulieren, bedeutet daher immer, Macht auszuüben, die sich in rassistischen, transphoben, antimuslimischen, behindertenfeindlichen, antisemitischen und anderen Ausschlüssen ausdrückt.

Demgegenüber kann Solidarität auch nicht einfach naiv über die Wirksamkeit dieser Machtverhältnisse hinweg formuliert werden; in einer anhand von Machtverhältnissen geordneten Gesellschaft kann höchstens deren explizite Reflexion und sensible Besprechung zeitweise Ausflüchte schaffen, in denen Soliarität als gleichberechtigte Begegnung spürbar werden kann (vgl. Katja Kinder 2011). Solidarität muss daher zuallererst auch die Machtverhältnisse bekämpfen, die sie verhindern. Dazu gehört auch das umnebelte Feld der Deutungshoheit. Deutungshoheit bedeutet, dass eine Person oder Gruppe ihre höhere soziale Positionierung (also z.B. ihr Weiß-sein, ihre christliche Sozialisierung, ihr cis-Sein, ihre akademische Ausbildung etc.) dafür ausnutzt, der eigenen Position mehr Gewicht zu geben und die Positionen ander positionierter Personen oder Gruppen an den Rand oder aus der Diskussion zu drängen. Das passiert zum Beispiel, wenn cis-Expert_innen über Toiletten für trans Personen sprechen. Dann nutzen sie ihre eigene Positionierung, um bestenfalls ›für‹ trans Personen zu sprechen, aber immer ohne trans Meinungen und Positionen zu hören. Das geschieht auch oft im wichtigen Kampf gegen Antisemitismus. Von meist Weißen christlich sozialisierten Deutsch_n werden Sprechverbote gegen Jüd_innen, Schwarze Personen, migrantisierte Personen oder PoC erteilt. Dieses

autoritäre Auftreten verhindert dann Streit, Kritik und Diskussion und führt lediglich zum Vollzug von Fronten und dazu, dass weiße christlich sozialisierte Deuts_he die Deutungshoheit über Israel/Palästina und Antisemitismus behalten (vgl. Jasmin Dean 2017). Diese Schieflage zu kritisieren heißt nicht, über Antisemitismus zu schweigen oder unkritisch die Positionen von trans Sexist_innen zu übernehmen, sondern immer konkret zu fragen, wie Machtverhältnisse gerade funktionieren und durch welche Strategien sie sich aushebeln lassen.

Die gemeinsame Betroffenheit in je unterschiedlich wirksamen Machtverhältnissen kann die Grundlage für Solidarität in strategischen Allianzen bilden – und markiert gleichzeitig ihre Grenze. Umso mehr im Neoliberalismus funktionieren Machtstrukturen in der eigenen Wahrnehmung je individuell – niemand ist auf dieselbe Weise betroffen wie ich – und gemeinsame Betroffenheit zu betonen kann den Raum für die Unterschiede schwinden lassen. Nur wenn Machtverhältnisse auch in unseren Bewegungen und Bündnissen selbst besprochen und bekämpft werden, ist eine reflektierte Macht-bewusste Solidarität möglich. Das ist weder Zeitverschwendung noch individualisierender ›Emo-Kram‹, sondern die grundlegende Notwendigkeit, damit Begegnung überhaupt erst möglich wird (vgl. Katja Kinder 2011, Sabine Mohamed 2012). Wenn feministische Gruppen ein ›Frauen*‹ in den Titel setzen, und in verbreiteten Formulierungen sicherstellen, dass ›Transfrauen und -mädchen immer mitgemeint seien‹, dann fühle ich mich nicht immer eingeladen und nicht immer mitgemeint. Es ist leicht, ein Sternchen auf‘s Plakat zu drucken. Viel schwieriger ist es, wirklich Räume zu schaffen, in denen sich trans Personen wohlfühlen. Dazu gehört viel mehr, als ›mitgemeint‹ zu sein. Feministische Gruppen müssen sich fragen, wie zugänglich ihre Räume wirklich sind, und wie sie Öffnungen auch über bloße Formulierungen hinweg schaffen können. Feminist_innen, die nicht die Erfahrung machen, als Minderheit marginalisiert zu sein, müssen sich damit auseinandersetzen, was es heißt, als einzige trans Person in einem Raum zu sitzen, in dem über trans Positionen gesprochen und entschieden wird. Sie müssen sich fragen, aus welcher Position heraus sie sprechen, wo sie wofür transphobe Argumentationen bedienen, wo sie stellvertretend für Kämpfe sprechen, die sie nicht kennen, wo sie über statt mit Menschen sprechen und wo sie aus cis Perspektive festlegen, wer ihre Kämpfe feministische nennen darf, und wer nicht. Offenheit zu formulieren, ohne Selbstarbeit geleistet zu haben, ist unverantwortlich und konfrontiert Menschen auch in solidarischen Räumen mit unsolidarischem Verhalten.

Solidarität erfordert eine intensive und kritische Selbstarbeit, die nie aufhört – aber doch auch nie den größten Raum politischer Zusammenarbeit einnimmt und weiter an feministischen Werten von Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit orientiert bleibt. Eingebettet in eine solidarische Bündnisarbeit führt diese Selbstarbeit nicht zu Lähmung und Ohnmacht, sondern eröffnet kollektive Handlungsräume und Arbeitsfelder zwischen nachdenklichem Austausch und nachdrücklicher Aktion. Denn »[e]s bedarf konkreter Bewusstseinsarbeit, um in Bündnissen arbeiten zu können: Menschen mit Rassismuserfahrungen sollten wissen, was für sie eine stärkende Zusammenarbeit ausmacht und an welchem Punkt der Bildungsprozess weißer Alliierter auf ihre Kosten geht und sie (zu viel) Kraft kostet. Menschen, die in

rassistischen Ordnungen privilegiert werden, sollten sich fragen, ob und wie sie sich mit der Frage von ungleichen Verhältnissen in rassistischen Strukturen auseinandersetzen. Was braucht es, um den eigenen Standpunkt, die eigene Verortung darin anzuerkennen und als Alliierte*r zu handeln?« (Ilinda Bendler, Laura Digoh-Ersoy, Nadine Golly 2019: 18).


3. Solidarität muss kritisch bleiben

Feminismus besteht schon immer aufgrund der intersektional wirkenden Machtverhältnisse, gegen die er wirkt, im Plural. Wenn Universalisierung und Versämtlichung als Machtpraxis konsequent kritisiert wird, kann das auch nicht anders sein. Dennoch kann ein feministisches Miteinander, das dabei stehenbleibt, seine Vielfalt zu feiern, die »bestehenden Unvereinbarkeiten und Dominanzverhältnisse« (Gudrun-Axeli Knapp 2014: 13) verschleiern, vergessen »dass feministische Kritik – vermutlich in all ihren Varianten – einen geteilten Impetus hat: Sie nimmt Anstoß an Diskriminierung, Macht, Herrschaft und Ungleichheit im Verhältnis der Geschlechter sowie an Beschränkungen und Normierungen, die dem Geschlechtsbinarismus innewohnen« (Gudrun Axeli-Knapp 2014: 13). Ein unreflektiertes Feiern der Vielfalt steht so in der doppelten Bedrohung, die Wirksamkeit feministischer Kämpfe und ein solidarisches Streiten gemeinsam von vorneherein auszuhebeln. Ein handlungsfähiges solidarisches Kämpfen muss sich nicht in die Harmonisierung der Unterschiede flüchten, sondern kann – sich kritisch auf gemeinsame Analysen wirkender Machtverhältnisse berufend – in gegenseiter Kritik die Kampffelder, Aktionsformen, Handlungsmöglichkeiten und Träume feministischer Bewegungen aushandeln. Allianzen werden dann nicht mit allen geschmiedet, die eben auch irgendwie im ›Heer der Sklaven‹ marschieren, sondern auf Gemeinsamkeiten überprüft und erst einmal kritisch beäugt. Gleichzeitig kollidiert die Betonung von Identität, sozialer Positionierung und Verschiedenheit von Perspektiven und Erfahrungen mit Forderungen des Neoliberalismus und birgt dieselbe Gefahr der Vereinzelung. Umso wichtiger ist feministische Bündnisarbeit heute, die ihre materiellen Quellen kennt und um den Ausdruck der Machtverhältnisse in ökonomischen Kategorien weiß. Auch deshalb ist es um so wichtiger, den Streik konsequent antikapitalistisch zu führen und in erster Linie die ökonomischen Ausbeutungsverhältnisse von Frauen_, inter_ und trans_ Personen im Blick zu behalten. Denn feministische Bündnisarbeit muss »notwendigerweise als transnationale Konzepte der radikalen Dekolonisierung und Überwindung kapitalistischer Strukturen fungieren: Wenn die Befreiung von kulturell konstruierten, und so geschlechtlich (biologisch) hergestellten Körpern, auf die Öffnung von Geschlechtlichkeit und sexuellem Begehren hin zu einer Zukunft von verschiedensten Möglichkeiten der Lust und der Liebe zielt, so muss dies dialektisch mit den materiell-ökonomischen Grundlagen für diese Möglichkeiten verstanden werden. […] Es wird im Kapitalismus immer Beherrschte und Herrschende geben. Interdependente antikapitalistische Kämpfe eröffnen somit radikale Perspektiven Machtverhältnisse in dieser Struktur zu greifen und möglichst breite revolutionäre Arbeiter*innen-Bewegungen aufzubauen« (Eleonora Roldán Mendívil 2014: 15).


Für eine feministische Bündnisarbeit ist es grundlegend, dass Gruppen Selbstverständnisse und Positionen finden, die menschenfeindliches Gedankengut, wie Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus, Rassismus, Transphobie etc., ausschließt und sich an bestimmten Grundsätzen orientieren. Diese wiederum können aber nicht als unverhandelbare Sprechverbote ins Feld geführt und so zum Hoheitswerkzeug ohnehin dominanter Gruppen innerhalb feministischer Bewegungen werden. Es geht vielmehr darum, dass Bündnisse vor ihrer Arbeitsfähigkeit ausloten, welche Voraussetzungen für die einzelnen Akteur_innen gegeben sein müssen, um im Bündnis aktiv zu werden – so kann ich erst in einen feministischen Raum treten, wenn trans weibliche Kämpfe auch feministische sein dürfen.


Damit dies möglich wird, müssen Alternativen zu den üblichen Schemata linker Allianzenbildung gefunden werden, die in einer einfachen Binarität von Marginalisierten und Aggressoren operiert. Nicht nur reicht ›Opfer-Sein‹ für handlungsfähige Allianzen kaum aus, auch reproduziert es eine vereinfachende Struktur, die gesellschaftliche Machtverhältnisse verkürzt erklärt und die Welt in gut/böse teilt, statt überall wirksame Strukturen in den Blick zu nehmen (vgl. bell hooks 1984). So mag es kurzfristig befreiend sein, die weiße akademisch gebildete cis Frau zur Feindin zu erklären und die Wut auch in vereinfachenden Strukturen auszudrücken. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, wie gefährlich diese Vereinfachungen sind. Analog zur Stellung von Frau_n im Patriarchat (stark/schwach) werden andere Kämpfe umzulässig vereinfacht gelesen und damit auch die eigene Positionierung aus dem Bereich des zu Hinterfragenden herausgenommen, eigene Privilegien und Dominanz verschleiert (vgl. auch die These der Mittäterschaft von Christina Thürmer-Rohr 1983), und wir selbst in eine Position der Ohnmacht gedrängt. Darüber hinaus ist der Schritt von dort zu antisemitisch strukturierter Argumentation nicht weit oder sogar strukturell angelegt (vgl. Merle Stöver 2018; Jasmin Dean 2017).

Eine weiteres Hindernis feministischer Allianzenbildung ist Entwicklungsdenken, also die Vorstellung, dass es einen linear verlaufenden Weg der Emanzipation aus der finsteren Vergangenheit in die strahlende Gegenwart verläuft. Dabei werden durch Feminist_innen errungene und immer wieder umkämpfte Zustände oft für nationalstaatliche Legitimation, weißen Retter_innen-Paternalismus und rassistische Überlegenheit im internationalen Vergleich ins Feld geführt (vgl. Jin Haritaworn, Esra Erdem, Tamsila Tauqir und Jen Petzen 2007). Doch konkret wirksame Machtverhältnisse lassen sich schwer vergleichen; dass ich als akademisch gebildete weiße trans Person relativ gut leben kann, sagt mehr über meine eigene Positionierung und Privilegien als über problematische Kategorien von ›Rückschrittlichkeit‹ in einem kolonial sortierten Gefälle. Ebenso irreführend sind Verfallsthesen, die den umgekehrten Weg gehen. So werden die Bündnisse der frühen 1990er Jahre meist als gescheitert analysiert und dabei »der Erfolg, den das Entstehen dieser Koalitionen und ihr radikales Infragestellen des Machbaren darstellt« (Fatima El-Tayeb 2015: 9), und die erst dadurch ermöglichte »neue Phase der Koalitionsbildung verschiedener rassifizierter Gruppen« (Fatima El-Tayeb 2015: 9) vergessen. Stattdessen gilt es zu fragen: Was tragen feministische Bewegungen der Geschichte für uns aus? Was lässt sich von ihnen lernen? Wo kämpfen wir weiter, wo haben sich neue Kampffelder eröffnet? Emanzipation ist kein Verlauf und kein Zeitstrahl, sondern der aktive Kampf von Einzelnen und Gruppen gegen konkret gegenwärtig wirksame Machtverhältnisse. Chronologische Einordnung lässt keine Schlüsse auf Vergangenheit und Zukunft zu, sondern verschleiert kämpferisches Engagement und verhindert einen befähigenden Umgang mit gesellschaftlichen

Machtverhältnissen (vgl. Gudrun-Axeli Knapp 2014). Darin, wie in Deutschland über Hijab gesprochen wird, wird das Zusammenlaufen feministischer und rassistischer Argumentation mit dem kolonialen Narrativ der ›Weißen Retterin‹ sichtbar, die die als homogenisiertes Kollektiv unterdrückte muslimische Frau von Kopftuchzwängen zu befreien – und hier längst nicht mehr eine Frage des Glaubens verhandelt, sondern der Stoff kulturalisiert rassifiziert (vgl. Yasemin Shooman 2011).


Unter den verbreiteten problematischen Strukturen, die ich exemplarisch anreiße, lungert auch das so oft beschworene ›politische Subjekt der Frau‹ (Koschka Linkerhand 2018). Gegen Identitätspolitik wird es ins Feld geführt, die Berufung auf ein gemeinsames Frau-sein und die Forderung, dass feministische Bewegungen immer Bewegungen von Frauen sein sollen und ausschließlich binär weibliche (›frauenspezifische‹) Erfahrungen verhandeln soll, schließt auf Nachfrage oft zwar noch trans Personen ein, die sich binär als Frau verorten, ignoriert jedoch eine ganze Reihe antisexistischer Kämpfe. Mehr noch: Sie legen ein binäres Geschlechtersystem zugrunde und erklären cis-Weiblichkeit zur Norm. Das produziert fragwürdige Ausschlüsse und ist nicht nur tendenziell transphob, insbesondere transmisogyn. Queerfeminismus mag mit der Dekonstruktion des binären Geschlechtersystems auch den klassischen Gegenstand feministischer Bewegungen, nämlich die Kategorie ›Frau‹ selbst, als Ausgangspunkt feministischer Arbeit entziehen – doch weil erst dann Feminismen wirklich inklusiver werden können, lohnt es sich, den Widerstand der Tradition auszuklammern. Dabei reicht es nicht, über den Ausschluss von trans Personen nachzudenken. Dass unsere Sprache Geschlecht stärker markiert als andere Identitäten kann nicht bedeuten, bei den wichtigen Einschlüssen von trans Personen stehenzubleiben. Trans Sichtbarkeit wird zumindest im darüber-Sprechen durch die zwingende Binarität der deutschen Sprache privilegiert – weil es unmöglich ist, einen Aufruf zu schrieben, ohne trans Personen explizit aus- oder einzuschließen. Andere Machtverhältnisse sind nicht so präsent in der Sprache. Aber genauso wichtig. Es gilt, sich wirklich Gedanken darüber zu machen, wie machtkritisch Ausschlüsse bearbeitet werden können. Gleichzeitig ist nicht überall, wo ›FLINT*‹ draufsteht auch ›_INT*‹ drin. Damit sich Räume für trans Personen sicher und einladend anfühlen, braucht es mehr als nur einen zusätzlichen Buchstaben. Ich habe oft erlebt, dass ein Workshop für ›FLINT*‹ ausgeschrieben war, die Referent_innen sich aber nie mit Transfeindlichkeit und Transmysogynie auseinandergesetzt haben, und trans Personen, die sichtbar oder unsichtbar im Raum waren, verletzt wurden. Solidarität ist mehr als nur eine inklusive Formulierung. Oder wie FaulenzA in ›Safe Räume‹ rappt: »Es gibt viele Gründe, warum fast nur cisFrauen am Start sind / in FLT*I*-Räumen, doch zu schreiben gibt mir Fahrtwind« (FaulenzA 2017: 53).


Diese oben angerissenen Strukturen, die von feministischen Argumentationen oft bedient werden, müssen auf ihren Zusammenhang mit Antisemitismus, Rassismus und Transphobie befragt werden. Kritisch Positionen auszuhandeln, die unterschiedliche Machtverhältnisse berücksichtigen und prinzipiell für alle Identitäten inklusiv sind, und dabei gleichzeitig die Sprach- und Handlungsfähigkeit feministischer Bewegungen garantieren – das ist die Herausforderung feministischer Theoriebildung und solidarischer Praxis unserer Tage. Für die Arbeit im feministischen Streik-Bündnis bedeutet das: kritisch bleiben und aufmerksam für alle Strukturen und Handlungen, die verachtende Einstellungen zutage tragen, mit Kritik solidarisch und bestimmt in Austausch treten, und vor allem auch: selbstkritische Bewusstseinsarbeit leisten in Bezug auf die eigene Positionierung, Privilegien, Erfahrung, Perspektive.


4. Solidarität muss inhaltlich sein

Auch in Deutschland, wo der rassistische Normalzustand seinen Platz im feministischen Mainstream behält, haben Beispiele gelebter feministischer Solidarität Tradition, darunter die Frauentagung von und für ethnische und afrodeutsche Minderheiten in Bremen 1990 und der Zweite bundesweite Kongress von und für Immigrantinnen, Schwarze deutsche, jüdische und im Exil lebende Frauen in Berlin 1991. An diese Tradition knüpfte FemoCo2013 – Die gemeinsame Konferenz zu Feminismen of Color in Deutschland in Berlin an und weitete den Blick explizit auf trans und inter Perspektiven aus, »da rassifizierte Körper auf eine spezifische Weise vergeschlechtlicht werden und der gemeinsame Fokus auf die Dekolonisierung aus feministischer Perspektive of Color bereichernd ist« (Natascha Salehi-Shahnian 2014: 377). Die Betonung liegt hier auf dem inhaltlichen Zusammenhang der Unterdrückungsformen – die Zusammenarbeit von cis und trans Feminist_innen of Color ist so nicht zufällig, sondern inhaltlich als integraler Bestandteil einer dekolonialen Praxis formuliert.


Dabei kann auch in intersektionalen Feminismen noch stärker gefragt werden: Wie haben Kolonialismus, Transfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit und Sexismus als von Anfang an tief verwobene Beherrschungs-Strategien in der Geschichte von Institutionen wie der Anatomie, des Gefängnisses, des Nationalstaats, des Museums, der Klinik etc. unsere Gesellschaft zu einer Körper-normierenden gemacht? Wie hat sich seit der Aufklärung die Verfestigung der Moderne über emanzipatorische und gleichzeitg menschenfeindliche Inhalte artikuliert? Dekolonialer Queerfeminismus betrifft dann nicht nur Menschen, die von Rassismus und Heteronormativität gleichzeitig betroffen sind, sondern alle PoC und Queers. Solche Analysen können den Raum für tiefergehende inhaltliche Allianzen öffnen und das Bewusstsein für Intersektionalität als grundlegend für Unterdrückungsformen unserer Gesellschaften schaffen; in dieser Gesellschaft gibt es keinen Raum außerhalb heteronormativer und rassistischer Machtstrukturen – schon gar nicht für cis weiße Feminismen. Zwar entsprechen sie eher der gesellschaftlichen Norm – doch sind sie schon dadurch auch genauso Teil des Systems wie diejenigen von uns, die täglich Rassismus, Transmisogynie und Queerfeindlichkeit ausgesetzt sind.


Es ist verständlich, dass vor dem Hintergrund der zunehmenden Auflösung klarer Kategorien, wie wild verwunderliche Allianzen geschmiedet werden und sich zurecht die Frage stellt, was englischsprachiger Queerfeminismus mit der palästinensischen Befreiungsbewegung, was antideutscher Kommunismus mit der Debatte über Hijab und was die Emma mit der BILD zu tun hat. Allianzen ohne deutlich sichtbare inhaltliche Schnittmengen öffnen Tor und Tür für Machtstrukturen, in feministischen Kreisen vor allem für antisemitische, antimuslimische und transphobe Ressentiments. Dagegen muss Solidarität stärker von inhaltlicher Auseinandersetzung, vom wohlwollenden Streiten und offenen Diskussionen geprägt sein. Es ist immer zu fragen: Weshalb positionieren wir uns als Gruppe solidarisch mit dieser oder jener Gruppe, und wo endet die Notwendigkeit der Positionierung als Gruppe und beginnt meine eigene solidarische Auseinandersetzung als Individuum? Die Konflikte und Gemengelagen in Israel und Palästina mögen für mich aufgrund meiner eigenen Biografie relevant sein – müssen es aber deshalb nicht zwangsläufig für alle Gruppen, in denen ich politisch aktiv bin. Dabei ist noch eine Unterscheidung wichtig: Wo geht es darum, gegen Ausschlüsse in Gruppen zu arbeiten, und wo muss es inhaltliche Überschneidungen zwischen den Kämpfen geben? Ein Streik-Kommittee muss so vielleicht nicht unbedingt eine Position zu Transphobie in deutschen Standesämtern formulieren, wohl aber Transphobie in den eigenen Reihen bearbeiten. Solidarität bedeutet nicht, auf allen Protesten zu tanzen, sondern nach inhaltlich relevanten Schnittmengen zu suchen, die gemeinsam und ohne Verallgemeinerung bearbeitet werden können – und auf allen Ebenen gegen Ausschlüsse in den eigenen Gruppen aktiv vorzugehen. Im Rahmen des feministischen Streiks bedeutet das vor allem: die Tatsache, dass die Organisator_innen häufig zur akademischen Mittelschicht gehören, nicht leugnen oder wegentschuldigen, sondern sich der Frage stellen, wie der Rahmen noch einmal für andere_ Frauen, Lesben, inter_ und trans_ Personen geöffnet werden kann, vor allem diejenigen, die von akademischer Sprache ausgeschlossen werden, die sich in Kontexten außerhalb der sozialen Verbindungen der bisher Aktiven bewegen, die nicht aktiv oder mobilisiert sind. Ob der Streik dann Erfolg haben kann, steht auf einem anderen Blatt. Aber dann wird er vor allem solidarischer und erst dann seinem Anspruch gerecht, ein feministischer Streik zu sein.


Fazit. Solidarität muss schon heute sein

Ein solidarisches und machtkritisches Miteinander lässt keinen Aufschub zu. Sozialdemokratische und partei-kommunistische Gruppen haben insbesondere auch feministische Kämpfe und die Kritik an den eigenen Macht-Hierarchien immer wieder auf die Revolution vertröstet und dadurch die Machtverhältnisse, in denen sie politisch handelten, stabilisiert. Deshalb kann Solidarität in unserem täglichen Miteinander nicht warten. Ein solidarisches Miteinander betrifft eben nicht nur Fragen der Positionierung zu Gruppen außerhalb und in weiter Ferne – sondern unser Miteinander hier und heute. Es betrifft die Machtverhältnisse, die in unseren politischen Gruppen und unseren Köpfen weiterhin bestehen, und wie wir damit umgehen. In einer Gesellschaft, in der bestimmte Körper die unbedingte Norm darstellen, verwundert es nicht, dass wir diese Strukturen internalisiert haben – möglicherweise auch wenn sie gegen uns selbst gerichtet sind. Deshalb ist die eigene soziale Positionierung immer kritisch zu befragen, und Macht in Form von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit, Transphobie und anderen Machtstrukturen auch in emanzipatorischen Bewegungen real existent. Daran, wie feministische Bewegungen es schaffen, diese Strukturen selbstkritisch zu besprechen, wird sich ihre Zukunft entscheiden. Solidarität betrifft auch darüber hinaus immer, wie wir miteinander umgehen und miteinander sprechen, und wie wir uns zueinander verhalten. Das Private ist politisch, und das Politische privat.

Der Zwang zur Positionierung innerhalb linker Theorie- und Handlungsfelder und Selbstbilder verhindern oft solidarische Kommunikation miteinander. Das ist nicht nur schade, sondern tief problematisch und hinderlich. Zugunsten der eigenen politischen Identität werden Allianzen ausgeschlagen, Menschen

verletzt, Gruppen kategorisch ausgeschlossen und Zusammenarbeit nachhaltig verhindert ohne jeglichen inhaltlichen Anhaltspunkt. Statt zu streiten wird performativ über Selbst-Inszenierungen das Eigene als rechtmäßig, universalgültig und einzig richtig zementiert und dadurch verhindert, einander jemals »subversiv zuhören« (María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan 2003: 279) zu können. Stattdessen müssen wir Wege finden, schon hier und heute Solidarität zu üben und die Wirkweisen von Macht in jedem Raum (einschließlich unserer eigenen Körper) kritisch befragen und füreinander einzustehen »sowohl kritisch gegen macht_entnennende deutsch-statisierte linke Selbstbefeierungen als ›antideutsch‹, als auch gegen jegliche Deutschlandfähnchenschwingungen mit und ohne ›Migrationshintergrund‹« (Alyosxa Tudor 2015: 16). Nur so können emanzipatorische Bewegungen schon jetzt selbstbefähigende und selbstermächtigende Räume werden (vgl. Empowerment in der antisemitismuskritischen Bildung in Marina Chernivsky und Romina Wiegemann 2017). Wir müssen uns fragen, wie wir konkret gegen Ausschlüsse arbeiten können; wie wir Kritik kommunizieren, die gehört werden kann; wie wir Entscheidungen treffen, die alle berücksichtigen; wie wir unsere Interessen und Bedürfnisse verhandeln; und wie wir diskutieren, dass alle gehört werden.



 

Zitierte Texte

Gudrun Axeli-Knapp: „Geleitwort“, in: Feminismen heute. Positionen in Theorie und Praxis, Yvonne Franke, Kati Mozygemba, Kathleen Pöge, Bettina Ritter, Dagmar Venohr (hg.) (transcript Verlag: Bielefeld 2014), 9-15.

Ilinda Bendler, Laura Digoh-Ersoy, Nadine Golly: „Wechselnde Allianzen. Rassismuskritische Bildungsarbeit“, in: Unteilbar. Bündnisse gegen Rassismus, Jule Bönkost (hg.) (UNRAST-Verlag: Münster 2019), 15-30.

Marina Chernivsky & Romina Wiegemann: "Antisemitismus als individuelle Erfahrung und soziales Phänomen – Zwischen Bildung, Beratung und Empowerment", in Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 21 (2017), 1–8.

María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan: "Postkolonialer Feminismus und die Kunst der Selbstkritik", in: Hito Steyer/Encarnación Rodríguez (Hg.), Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik (Münster 2003), 270-290.

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Alyosxa Tudor: from [al'manja] with love: Trans/feministische Positionierungen zu Rassismus und Migrantismus (Brandes und Apsel: Frankfurt 2015).

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dorcamelda
Sep 07, 2020

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